13.06.2020

Das seltsame Talkshow-Geisterspiel von VW

Oder: Wenn die Unternehmenskommunikation den eigenen CEO demontiert.

Herbert Diess hat sich als VW-Vorstand für das ihm anvertraute Unternehmen wirklich in die Bresche geworfen. Ist in die Medien. Ist in Talkshows. Hat sein Gesicht hingehalten. Auch für die Fehler im Diesel-Skandal. Das muss man ihm hoch anrechnen. Und jetzt wurde er in einer Art Wolfsburger Dolchstoßmanier zum Frühstücksdirektor degradiert, wesentlicher Aufgaben beraubt. Die Zuständigkeit für die Marke Volkswagen geht an Ralf Brandstätter. In der automobilen Testosteron-Branche würde man wohl sagen: Sie haben Herbert Diess die Eier abgeschnitten.

Die männlichen Leser werden es nachempfinden können: Das allein ist schon Schmerz genug. Nicht aber bei Volkswagen. Hier dreht man die Daumenschrauben immer noch ein paar Millimeter weiter und zerrt den demontierten Vorstandsvorsitzenden auch noch in eine hauseigene Talkshow. Mit ihm im Studio: Sein Nachfolger Ralf Brandstätter. Und der oberste Kommunikator. Alles gute Leute. Zweifellos. Aber das Setting raubt ihnen jede Glaubwürdigkeit.

Es ist ohnehin immer schon ein besonderes Spektakel, wenn ein Kommunikationschef seinen Vorstand interviewt. Da ist ja wirklich Spannung vorprogrammiert. Haha… Niemand käme auf die Idee, dass die Fragen und die Antworten komplett gescripted sind. Hoho…

Die Deutsche Bank bedient sich dieses Formats auch des Öfteren. Den Aufwand kann man sich eigentlich sparen. Denn wenn ein Kommunikationschef seinen Vorstand interviewt, dann wohnt man als Zuschauer keinem echten Gespräch bei. Sondern einem Theater, bisweilen einen Bauerntheater. Weil Laienschauspieler angeblich spontane Reaktionen darstellen.

Der Spannungsbogen: Gleich Null. Ich empfehle allen Kommunikatoren, dieses elende Schauspiel aus dem Repertoire des Kommunikationshandwerks zu entfernen. Das ist absoluter Quatsch. Ein Interview ist nur dann spannend, wenn es für den Zuschauer erkennbar keine bestellten Fragen und keine bestellten Antworten erlebt.

Insofern ist die ganze teure Inszenierung von VW schon eine Farce. Welchen Zweck soll sie erfüllen? Wen soll sie informieren? Am Ende ist dies alles für den feinen Beobachtern nur die komplette Demontage des Vorstandsvorsitzenden mit dem Kommunikationsflorett.

Wie muss es in Herbert Diess aussehen! In ihm tobt es. In ihm wütet es. Man hat ihn gerade seiner Potenz beraubt. Und jetzt muss er ganz weichgespült so tun, als sei dies der glücklichste Moment seines Lebens. Sowas kann vielleicht Mario Adorf Grimmepreis-verdächtig spielen. Nicht aber Herbert Diess.

Die Körpersprache von Diess allein ist schon verräterisch. Wer einen Standpunkt hat, der steht. Herbert Diess tänzelt und dribbelt wie ein Fußballspieler, der sich auf dem Weg zum gegnerischen Tor mit jedem kleinen Schritt seine neue Strategie zurecht legt und auf die kleinste Reaktion seines Gegenüber reagieren muss, um den Ball ins Tor zu bringen. Allein: Es gibt für ihn keinen Ball mehr und erst recht kein Tor. Er bleibt sieglos in diesem rhetorischen Geisterspiel.

Er rudert mit den Armen, wie ein Schwimmer, der mit letzter Kraft versucht, nicht unterzugehen. Weniger souverän hat man ihn nie gesehen. Warum bringt die Kommunikationsabteilung eines Unternehmens ihren Vorstand so in die Bredouille? Die Kommunikation erledigt den eigenen CEO dieses Mal sogar ganz ohne die externen Medien. Touché!

Und am Schluss sollte man auch die Worte noch auf die Goldwaage legen. Zunächst: Allein, dass die Herren mal das ‚Du‘ anreißen und dann zum ‚Sie‘ schwenken, entlarvt das allesTheater. Und die Worte erst recht. Für Diess war der Schritt zu Brandstätter eine logische ‚Evolution‘. Für Brandstätter kam sie ‚spontan‘ und ‚ohne Vorbereitung‘. Wie bitte? Ist eine logische Evolution am neuen Spitzenmann unbemerkt vorübergezogen? Um in Wolfsburg Karriere zu machen, sollte man im Polit-Gewerkschafts-Piëch-Porsche-Geflecht das Gras wachsen hören können. Ein völlig unglaubwürdiger Dialog also.

Und auf diesem Gute-Zeiten-Schlechte-Zeiten-Script-Niveau geht’s weiter. Ein kommunikatives und rhetorisches Geisterspiel von Volkswagen. Bis zur letzten Frage: Wie es um einen gewissen ID3 steht. Das muss wohl ein neues Gefährt sein. Der Zuschauer bleibt im Unklaren. Dennoch: Was könnte man jetzt in seiner ersten Antwort als Markenchef in den Köpfen der Zuschauer und Kunden für Bilder entstehen lassen. Von Innovation, Mobilität, Zukunft und der Leistung des Unternehmens. Die Geister-Antwort des neuen Markenchefs in diesem Geisterspiel, sinngemäß: Es fährt.

Geile Antwort für einen Markenchef im unternehmenseigenen Interview, oder? 🙂

Bild von

Schließen