05.03.2021

Resch Rhetorik Review: Die erste Folge

Hier die erste Folge meiner neuen Rhetorik-Rubrik für das magazin „politik und kommunikation“:

Reschs Rhetorik Review

Jetzt schreibt der Resch eine neue Rhetorik-Rubrik und beginnt gleich die erste Folge mit: Tennis! Ja! Genau! Das passt schon. Ich verspreche es Euch. Denn die Tennisspielerin Andrea Petkovic hat jüngst in einem Interview so wunderbar beschrieben, worauf es bei einem Matchball ankommt. Nämlich: Auf die volle Konzentration. 
Das Wichtigste sei in diesem Moment allein der Ball. Sonst nichts. In dem nächsten Schlag müssen all ihre gesamte Erfahrung, all ihr Können und ihre gesamte Vorbereitung kumulieren. Andrea Petkovic sagt, wenn sie in diesem Moment auch nur eine Sekunde an die Schlagzeile in der BILD am nächsten Tag denkt, an den Jubel danach oder es im Kopf schon mal rattert und rechnet, was dieser Sieg für die Weltrangliste bedeutet – dann geht der Ball daneben.
Ist es mit der entscheidenden Rede eines politischen Lebens nicht genau so? Ich behaupte: Ja! Wenn es um ein großes politisches Amt geht und der Weg zum Amt führt über die Rede, dann ist diese Rede so etwas wie der ganz persönliche rhetorische Matchball. Nur, seien wir ehrlich, leider erleben wir viel zu häufig, gerade und besonders in der Politik, dass die Rede des Lebens nicht als Matchball verstanden wird. Und dann wird’s statt großem Tennis halt einfach nur Pingpong. Die Folge: Gähn.
Ganz wunderbar war das auf dem Parteitag der CDU zu beobachten. Es sollte den Herren Merz und Röttgen schon spürbar kühl geworden sein, als sie den Kollegen Armin Laschet auf der Bühne sehen. Der hat – für seine Verhältnisse – großes Rhetorik-Tennis abgeliefert. Von der Bergmannsmarke seines Vaters sprachen die Menschen noch Tage später. Seine Rede hat vor allem die Emotionen bedient. Und manchen Fakt wohl bewusst vernachlässigt. Armin Laschet setzte auf die kleinen Geschichten aus den Generationen der Familie Laschet, mit der sich offenbar auch viele andere Menschen verbinden können. Das Ergebnis kennen wir: Matchball für Laschet, der für diesen einen Tag vom Karnevalsprinzen zum echt guten Storyteller wurde.
Der Vollständigkeit halber noch ein Blick auf die Tennis-Jugend auf dem Platz des CDU-Parteitages. Warum Friedrich Merz es nun immer dann vergeigt, wenn es wirklich drauf ankommt, das kann wohl nur sein Psychologe erklären. Allein sein erster Satz! Wir erinnern uns. Der hieß – really: „Was war das für ein Jahr!“ „Ach was?“, würde Loriot kommentieren. Mit einer solchen Sylvester-Plattitüde auf das vergangene Corona-Jahr 2020 Kanzler werden zu wollen – der Ball ist so tief geschlagen, da würde Andrea Petkovic als Gegnern wohl gar nicht erst loslaufen.
Und das Tennis-Bambino Röttgen wirkte wie ein Mittelstufenschüler bei der Konzeption seiner ersten PowerPoint-Präsentation, die in den Augen des Pubertierenden erst dann richtig gut ist, wenn die Folie zum Bersten vollgestopft ist mit Überschriften, Spiegelstrichen und Charts. Röntgens Anspruch war der einer Powerpoint-Wundertüte. Hauptsache prallvoll. Und er hat wohl während des Vortrages selbst bemerkt, dass da irgendwas nicht stimmt. Dass es irgendwie nicht funktioniert. Der eigentlich erfahrene Außenpolitiker wurde fahriger, als man ihn kennt. Merke: Das Zitat „Eine gute Rede ist, wenn alles drin ist“ ist von Aristoteles aus guten Gründen nicht überliefert.
Gewonnen hat also nicht der Anspruch an Vollständigkeit à la Röttgen. Und gewonnen hat nicht die scheinbar spontan auf dem Bierdeckel skizzierte Egozentriertheit des Herrn Merz. Überzeugt hat letztlich die durch und durch einstudierte Performance von Armin Laschet. Gewonnen hat die Emotion. Übung und Vorbereitung machen offenbar doch den berühmtem Unterschied. 
Nur ein Satz von Armin L. war definitiv gelogen. Nämlich seine Behauptung, gegen Ende, er sei kein Freund der Inszenierung. Statt „Ich bin Armin Laschet, darauf können Sie sich verlassen“, wäre es sicher ehrlicher gewesen, den Menschen zu sagen: „Ich bin ein absoluter Profi. Und habe diesen Auftritt perfekt vorbereitet und viele Male trainiert. Ich war heute der beste Armin Laschet, der ich sein konnte. Ob ich das morgen noch bin… das kann ich nicht versprechen.“
Diesen Teil der Wahrheit hat Armin Laschet dann auch gleich ein paar Wochen später geliefert. Wir erinnern uns: Wahlkampf in Baden-Württemberg. Armin Laschet spricht vor der Wirtschaft. Und poltert gewaltig los. Überliefert und dokumentiert ist folgendes Zitat: „Wir können unser ganzes Leben nicht nur an Inzidenzwerten abmessen.“ Und weiter: „Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet.“ Das ist das, was man wohl „Tacheles“ nennt. Klartext. Sowas mögen die Menschen. Das kommt an. Im Wahlkampf. Und bei den Unternehmern im „Ländle“ erst recht.
Wenn da nicht der böse Klaus Kleber tags drauf im heute journal mit seinen noch böseren Fragen lungern würde. Ach was, Fragen! Es war die immer gleiche Frage: „Wer, bitteschön, erfindet immer neue Grenzwerte? Wer, Herr Laschet? Wer? Meinen Sie etwa die Kanzlerin?“ Da war‘s vorbei mit Tacheles. Und der große Rhetoriker Laschet vom Parteitag schrumpft unter dem gestrengen Blick von Klaus Kleber wieder auf die Normalgröße der üblichen rhetorischen Taschenspielertricks der Politik. Die neuen Grenzwerte würden lediglich „von außen“ genannt. Und er unterstütze alle Ergebnisse der Konferenzen mit der Kanzlerin. Aha. Wieso haben das die Zuhörer in Baden-Württemberg so ganz anders verstanden? Schlechte Akustik wohlmöglich…
Rhetorik hat klassischerweise immer auch etwas mit Haltung zu tun. Und da passt es nicht so recht, beim Wirtschaftsrat in Baden-Württemberg zu poltern und bei Klaus Kleber zu kuschen. Das wird vom Wähler schnell entlarvt. So entzaubert sich Politik immer wieder selbst. Worte müsse belastbar sein. Das gilt vor allem in Krisenzeiten. 
Markus Söder weiß das. Er gibt für Wochen und Monate den harten Hund. Die Menschen mögen das offenbar. Worte müssen belastbar sein. Das weiß er. Und der Herr Söder muss auch erstmal nicht gewählt werden. Wenn er nicht will. Er kann also rhetorisch, strategisch und inhaltlich auf „Nummer sicher“ gehen. Da ist er fein raus.
Für seine Kollegin Malu Dreyer in Mainz sieht das anders aus. Sie will gewählt werden. In ein paar Tagen schon. Und viele ihrer Wähler, vor allem Selbständige, Unternehmer, Gastronomen, Einzelhändler, Friseure, deren Angestellte, deren Familien und nicht wenige der Kunden wollen: Auf! Und viele Wissenschaftler rufen: Zu! Wie die Kanzlern und der Markus Söder. 
Da legt sich eine zentnerschwere Verantwortungslast auf die Schultern einer Ministerpräsidentin. Ohne Zustimmung einer breiten Masse wird das nix mit dem Wahlsieg. Einerseits. Und ohne die nötige Umsicht und Vorsicht im Umgang mit dem Virus wird es auch nichts. Andererseits. Also muss Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz rhetorisch allen was bieten. Den einen die berühmte Öffnungsperspektive. Den anderen die erwartete Obhut und Sicherheit. Geht das? Beides zusammen? Und das alles auch Klaus-Keber-safe, sollte die Eminenz aus dem heute journal mal hartnäckig vom Lerchenberg runter in die Stadt telefonieren und nachfragen wollen?
Malu Dreyer schafft das. Sie kann nicht nur lächeln. Sie weiß offenbar auch, was die Rhetorik seit mehr als 2000 Jahren lehrt. Und setzt genau das geradezu kaltblütig um. Ihre Worte klingen so: „Die Menschen müssen wissen, wie es weitergeht“ wird Malu Dreyer in der FAZ am Sonntag mit großer Überschrift zitiert. Anderswo steht: „Die Menschen sind vom Lockdown gestresst.“ Und wieder anderswo: „Eine Perspektive aufzuzeigen bedeutet nicht, dass morgen alles aufgemacht wird. Es geht darum zu überlegen, was man tun kann, um den Menschen endlich wieder Zuversicht zu geben. Viele Unternehmen befinden sich in existenzieller Not, die meisten Familien sind am Limit.“ 
In der Psychologie heißt das „spiegeln“. Die Wirklichkeit des Gegenüber aufleben lassen. Mit dem Ergebnis: Der darbende Unternehmer fühlt sich verstanden. Und die sich fürchtende Risikogruppe auch. Und alle beide in einem Satz. Das muss man erst mal schaffen. Das ist schon große Kunst.
Der „Trick“ dahinter: Gute Redner geben ihren Worten Relevanz. Sie sprechen ihrer Zielgruppe aus der Seele. Und verdammt gute Rednerinnen lassen für sich selbst dennoch alle Handlungsoptionen offen. Malu macht’s vor. Und in ihrem geschickten rhetorischen Spagat zwischen Öffnung und Vorsicht würde sie auch die fünf Minuten Interview-Folter bei Klaus Kleber schaffen. Damit sind wir tief in den rhetorischen Strategien von Ethos, Logos und Pathos. Aber wir haben ja noch ein paar Folgen der Rubrik, sofern es den Leser*innen und dem Verleger gefällt. Da reden wir ein anderes Mal drüber. 
Gute Rednerinnen und Redner folgen konsequent dem alten Aristoteles. Der soll gesagt haben: „Die Wahrheit liegt immer beim Gegenüber.“ Das will heißen: Nicht ICH entscheide, ob meine Inhalte relevant sind. Sondern allein meine Zuhörer. Also muss ich meine Inhalte für meine Zuhörer relevant machen. Sie in der Lebens-, Gefühls- und Erwartungswelt meiner Zuhörer verankern. Am Anfang der Rede. Und dann immer wieder. Eine gute Rede ist kein Monolog. Sondern ein Dialog, der sich immer wieder mit den Zuhörern verbindet, wie ein Segel mit dem Mast. Alle paar Zentimeter eine Öse, die den Kontakt zum Publikum aufrecht erhält. Und die Aufmerksamkeit des Publikums ist dann der sichere Wind im Segel, der eine Rednerin über das Meer ihrer Rede trägt. Man könnte den Eindruck gewonnen, das Malu Dreyer ihren gesamten Wahlkampf rund um Corona nach diesem Prinzip aufbaut. Ich wage die Prognose: Sie wird damit erfolgreich sein.
Und wie schafft man das? Erstens: Mit Bewusstsein. Zweitens: Mit Training. Sich lange und intensiv mit den Inhalten beschäftigen. Sie hin und her wenden. Sie immer wieder in Frage stellen. Sie ergänzen. Sie immer wieder aus der Perspektive der Zielgruppe betrachten. Die entscheidende Frage: Bin ich an jeder Stelle der Rede für meine Zuhörer relevant? Oder gerade mal wieder nur für mich selbst? Ach, es ist ein weites Feld, diese Rhetorik. Wir werden noch viel drüber sprechen. 
Warum hören diesem Herrn Wiehler vom RKI alle zu, wenn er spricht? Sicher nicht, weil er der geborene und fesselnde Redner ist. Sondern weil seine Inhalte für uns alle eine entscheidende Relevanz haben. Aber nur wenigen ist ihre Relevanz, so wie ihm, gerade per Amt geschenkt. Und selbst Herr Wiehler wird, so hoffen wir es in unser aller Sinne, irgendwann wieder vom Amtswegen deutlich weniger Relevanz haben.
Ja, manchmal schenkt einem die aktuelle Diskussion in den Medien eine gewisse Relevanz auf Zeit. Das muss nicht immer angenehm sein. Gut, wenn man das Interview-Business dann versteht und beherrscht. Ein Beispiel des Gegenteils gefällig?
In den vergangenen Wochen war die katholische Kirche wieder verstärkt im Fokus. Angeblich sind die Warteschlangen für die Kirchenaustritte in Köln länger als die für Corona-Impfungen. Da ist es schon ehrenhaft, wenn der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf für den gescholtenen Kölner Kollegen Woelki die Kohlen aus dem Feuer holen möchte und sich einem der vielen „Tagesgespräche“ stellt, die sich in den Radios der Republik aneinanderreihen.
Wenn er in der Überschrift des Interviews dann aber mit den Worten zitiert wird „Die Kirche ist mehr als Missbrauch“ (und das noch mit Ausrufezeichen!) und im Verlauf des Interviews zum Thema „Frauen in der Kirche“ sagt, das Thema bekomme man so schnell „nicht vom Tisch“, dann hofft man, er habe das anders gemeint. Und man wünschte sich, dass auch die Kirche nicht nur die Kanzelrhetorik beherrscht, sondern auch die moderne Medienrhetorik in den Kanon ihrer klerikalen Ausbildung aufnimmt. Sie würde sich damit etwas ziemlich Gutes tun. Und dem Sachbearbeiter für Kirchenaustritte in der Kölner Behörde wohlmöglich auch. 
Was macht der Herr Bischof falsch? Er hat nur seine eigene, sicher bischöflich-angemessen schwere und große Schreibtischplatte im Blick. Deren geschreinerte Grenzen sind sein rhetorischer Horizont. Dabei geht es für einen guten Redner da erst los. „Die Wahrheit liegt immer beim Gegenüber“. Ihr, liebe Leser, erinnert Euch. Und ich wiederhole mich. Und es scheint, dass für eine Institution, die sich wie die Kirche im Inbegriff der ewigen Wahrheit fühlt, diese Erkenntnis wirklich ein Quantensprung wäre. Ich bin überzeugt: Es würde helfen.
Dass das mit der Rhetorik aus der Kanzel nicht so recht funktioniert, musste auch Ursula von der Leyen erkennen. Sie hat für ihr Amt den Video-Podcast entdeckt. Die moderne Kanzel der medialen Neuzeit. Ich kann mich kaum erinnern, ihren Vorgänger Jean-Claude Juncker je in einem Videopodcast moselfränkelnd gehört zu haben. Da hätte er niemanden anfassen können. Und „berühren“ ist nun mal die entscheidende Schnittmenge zwischen Rhetorik und Politik. 
In der Corona-Krise hat man Ursula von der Leyen lange gar nicht gesehen. Und dann in den Podcasts aus dem Greenbox-Studio wohl irgendwo in den Kellern des Berlaymont. Aber: Das ist Kanzel! Und: Aus der Kanzel heraus kann man heute nicht mehr überzeugen. Die Zeiten der Prediger und der Missionare sind rhetorisch endgültig vorbei. Und wenn jetzt die Politiker nach und nach immer mehr den monologisierenden Podcast entdecken – ich aber sage Euch: Lasst es! So einfach machen es Euch die Demokraten nicht. Die eigene Botschaft wird nur im Diskurs geschärft. Im Parlament. Im Interview. Überzeugungskraft braucht Reibung. Rhetorik bleibt eine Kunst. Eine Aufgabe. Und ist aller Mühen wert.
Zum Abschluss noch ein Sidekick zur Wirtschaft. Wir sind ja hier in einem Magazin für politische Kommunikation. Da kann man ja mal über „die anderen“ schmunzeln, die Managerelite, die sich vor der Kamera versucht. Und das folgende Thema ist im weitesten Sinne auch politisch. Es geht um Nachhaltigkeit und Wirecard. Ja, Sie haben richtig verstanden. Und fragen sich wahrscheinlich gerade, wie das wohl zusammenpasst. Die Antwort ist sehr, sehr lustig. 
Der Chef einer bedeutenden und renommierten Privatbank lässt sich für ein eigenes Videomagazin von einem eigenen Kamerateam zu einem selbstgewählten Thema interviewen. Das allein ist ja schon eine sehr komfortable Situation. Er kennt die Fragen und könnte die Antworten so lange aufzeichnen, bis alles passt. Das würden sich viele meiner Klienten wünschen, die zu Kleber, Slomka oder Zamperoni müssen.
Der Vorstand will also zum Thema Nachhaltigkeit sprechen. Und antwortet dann – verkürzt wiedergegeben – so: „Wir haben im Unternehmen eine Nachhaltigkeitsrat, der alle unsere Geschäftsaktivitäten überprüft. So ein Fall wie Wirecard, der würde daher bei uns nicht passieren…“ Und dann nimmt das Unheil seinen Lauf. In schillernden Farben beschreibt er minutenlang und lebendig das Wirecard-Desaster – mit dem sein Haus überhaupt nichts zu tun hat. Und bestimmt nicht in Verbindung gebracht werden möchte. Das steht jetzt im Netz. Auf dem Youtube-Kanal des eigenen Hauses. Ein rhetorisches Komplettversagen aller Beteiligten. Die Kommunikation weilt unterdessen offenbar im Homeoffice. Das muss man erst mal schaffen.
Jaaaa, darüber können wir jetzt schmunzeln. Diese Manager! Das würde meiner werten Leserschaft aus der Politik definitiv nicht passieren. Niemals! Alles Profis! Mit allen rhetorischen Wassern gewaschen! Alle bereit für den rhetorischen Matchball! (Uff, auch die krude Einleitung mit dem Tennis kommt im drittletzten Satz noch zu einem guten Ende.) Ich werde Euch trotzdem im Blick behalten. Bis zum nächsten Mal.
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