24.11.2022

Was „Wetten dass…?“ mit politischer Rhetorik zu tun hat…

… und warum unser Bundespräsident seine Reden gerade auch einer weißen Wand erzählen könnte.

Na, diese Überschrift macht ja vieles möglich. Und weil die Reden unseres Bundespräsidenten eher langweilig sind, beginnen wir mit dem, was definitiv Quote macht, mit „Wetten dass“. Haben Sie das letzte Revival gesehen? Im Vergleich zu der Bademantel-auf-dem-Sofa-Version unserer Kindheit hat sich eines definitiv verändert. Es ging los mit der Bagger-Wette. Und nach 20 Minuten stand schon Robbie Williams auf der Bühne. Das wäre anno dazumal definitiv anders gewesen. Da hätte sich die Sendung langsam zur Bagger-Wette gesteigert und zum großen Finale den Superstar präsentiert. 

Merke: Ffür langsames Steigern bis zum Höhepunkt ist heute keine Zeit mehr. Mit einem Sturm beginnen und langsam steigern – das hat schon Alfred Hitchcock allen Regisseuren ins Lehrbuch geschrieben. Und was im großen Hollywood gilt, das gilt auch in der Zeppelin-Halle in Friedrichshafen, der Heimat von „Wetten dass“ in diesem Jahr.

Nur in den schläfrigen Hallen unserer Bundes- und Landesparlamente scheinen der olle Hitchcock und der noch ollere Gottschalk noch nicht angekommen zu sein. Wie oft erleben wir an den Rednerpulten den schleppenden Rhythmus des prozessualen Erzählens. Also: Vorne beginnen, kompliziert herleiten, umfangreiche Nebenaspekte einbeziehen und sich dann langsam zur Meinungsfindung steigern. 

Schuld daran haben maßgeblich unsere Grundschullehrer. Der erste Aufsatz in der Schule hieß und heißt nicht selten: Mein Weg zur Schule. Und eine gute Note gibt es, wenn der Aufsatz artig an der heimischen Haustür beginnt und unter pflichtschuldigstem Mäandern durch die Komplexität des deutschen Fußwegwesens irgendwann an der Schule endet. Und unterwegs bleibt wirklich kein Grashalm unerwähnt. Was für ein kluges und aufmerksames Kind. Note: Sehr gut!

Solche durch Lob verfestigte Prägung geht schwer wieder raus, das weiß inzwischen jeder Sofa-Psychologe, der sich mit dem übrigens sehr empfehlenswerten Buch „Wer wir wirklich sind“ von Stefanie Stahl beschäftigt hat. Und so schleppt sich die musterschülerhafte rhetorische Komplexität bis in die Gähn-Reden unserer Parlamente. 

Stop! Würden da Sokrates, Hitchcock und neuerdings auch Gottschalk unisono rufen. Ein guter Aufsatz über meinen Weg zur Schule beginnt nicht zuhause – sondern in der Schule! Und er erzählt zuallererst – der Politik übrigens nicht unähnlich: bisweilen auch unter flunkerndem Vortäuschen von Tatsachen – wie geil die Schule ist. Und beschreibt dann den Weg dorthin. Also: Mit einer Baggerwette beginnen und dann noch den Robbie Williams in der Tasche haben. Wenn wir davon mehr in den Parlamenten hätten – Wetten, dass…?

Was haben wir stattdessen: Eine Innenministerin, die auf die vielen Fragen rund um die WM in Katar immer wieder sagt: „Ich finde, das….“. Wie und wo meine Ministerin was findet, ist mir recht egal. Wovon sie überzeugt wäre, das würde mich mehr interessieren.

Aber etwas Lob soll auch sein. Wie es dem Arbeitsminister Hubertus Heil immer wieder gelingt, nicht in prozessualer Komplexität zu versinken – die sein Ministerium unweigerlich hergeben würde – sondern seine Entscheidungen an den Menschen festzumachen, wie er Menschengeschichten erzählt, statt in Sozialgesetzen zu versinken, das ist aller Ehren wert. Er beginnt Reden und Statements vielleicht nicht gerade mit einer Baggerwette, zumindest aber mit den täglichen Problemen und Herausforderungen der Menschen, die in ihrem Alltagskampf eine Menge Sorgen wegzubaggern haben. Wenn die Politik dann dafür rhetorisch einen Hebel liefert, dann hat der Minister seine Möglichkeiten verstanden, die er mit der Macht des gesprochenen Wortes hat.

Wer jetzt in dieser Rubrik noch mit Robbie Williams rechnet, den muss ich enttäuschen. Jetzt kommt nur noch der Bundespräsident. Und es ist ja wahrlich ein schweres Amt. Wenn das einzig mächtige Werkzeug das gesprochene Wort ist und das einzig damit zu drechselnde Werkstück die präsidiale Rede – wie soll man damit in der Welt der knappen Soundbytes noch durchdringen. 

Wie war nochmal das Thema der ach so großen Rede unseres Bundespräsidenten am 28. Oktober im Schloss Bellevue? Na? Ein paar Sekunden warten… Wissen Sie’s? Die Antwort: „Alles stärken, was uns verbindet.“ Und wie war nochmal das Motto der Rede von Roman Herzog am 26.4.1997? Sehen Sie, wie da ein Ruck durch Sie geht, verehrte Lesende.

Was ist da passiert? War Roman Herzog einfach der bessere Redner? Möglicherweise. Zumindest war der Kraftprotz mitreißend authentisch, wo der amtierende Nachfolger eher sedierend authentisch tätig ist. Und es waren auch andere Zeiten. Zu Zeiten das wackeren Bajuwaren hatte man eben noch – Zeit. Die Welt lass FAZ und Feuilleton und man ging auch noch in die Kirche. Es war mitnichten alles besser. Aber eben anders. Und heute?

Heute muss Rhetorik eine Rede eben ’snackable‘ servieren. Das Pult, das Papier, dahinter der Präsident – who cares? In Zeiten, in denen in den sozialen Medien jeder Nachwuchs-Influencer das spricht, was ihm gerade einfällt (Content und Qualität anheim gestellt), erwartet die Zielgruppe eben auch das frei gesprochene Wort vom politischen Führungspersonal.

Die Reproduktion des bereits Gedachten ist im Sinne von Hitchcock schon lange kein Sturm mehr. Mit anderen Worten: Was Du abliest, das interessiert mich nicht. Das sind Deine Gedanken vom gestern. Wir sind aber inzwischen im Hier und Heute, alter Mann.

Hier liegt meines Erachtens eine große Aufgabe für den Bundespräsidenten der nächsten Generation: Seine gesamte Redekunst komplett umzubauen auf was, was amerikanische Präsidenten zur Perfektion beherrschen. Mit dem Teleprompter und komplett ohne Papier wieder den Eindruck zu erwecken, ich wohne als Zuhörer*in dem großen Moment bei, in dem ein großer Menschen just für mich einen großen Gedanken entwickelt. Alles Show? Who cares! Auf die Wirkung kommt es an!

Vielleicht liegt es daran, dass Bundespräsidenten in der Regel erst dann die Herzen vollends erobern, wenn sie Amt, Würde und Bürde hinter sich gelassen haben. Wenn sie wieder frank und frei sprechen können. Es sollte schon zu denken geben, dass wir uns alle wohlmöglich eher und vor allem sehr viel herzerwärmter an die Aufritte von Joachim Gauck zum Tag der Deutschen Einheit im heute journal oder bei Markus Lanz erinnern, als an das Motto der großen Rede von Steinmaier, zu der nicht mal das Kabinett erschienen ist. Weil: Man kann es ja auch nachlesen! Die großen Rede der Antike können wir auch nachlesen. Aber nicht, weil sie zuvor an die Presse verteilt wurden. Sondern weil sie beim Sprechen dokumentiert wurden. 

Oh je! Und nun? Kurz vor Weihnachten die volle Packung Kulturpessimismus und ein Abgesang auf die Redekunst? Mitnichten! Vielmehr: Ein Lob auf die Show! Eine gute Rede braucht eben auch eine gute Inszenierung. Und in einer Welt, in der sich jedewedes Krethi und Plethi influencend zu inszenieren weiß und damit Millionen Follower findet, erwarte ich auch, dass sich unsere Politikerinnen und Politiker zu inszenieren wissen, wenn sie mit der Macht des gesprochen Wortes etwas erreichen möchten.

Neumodisches Zeug? Auch hier: Mitnichten! Allen Zweiflern sei für unter den Weihnachtsbaum, unters Kopfkissen und für unters Rednerpult empfohlen: Ian Kershaw, Der Mensch und die Macht. Da steht’s drin. Wie andere Große das gemacht haben. Oder um es in der Sprache der Generation Golf zu sagen: Mehr Baggerwetten wagen! Und noch einen Robbie Williams in der Tasche haben. Dann wird’s auch was mit der Redekunst! Wetten, dass…?

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